Ein vermeintlich ehrenvoller Frieden

Junge Freiheit

Kurz nach seinem Amtsantritt im Jahr 1969 stand US-Präsident Richard Nixon vor einem Dilemma. Er mußte den unseligen Vietnamkrieg beenden, ohne daß dies wie eine Niederlage aussah. Die Lösung dafür schien schnell gefunden. Sie bestand in der Vietnamisierung des Konflikts und im Abschluß eines ehrenvollen Friedens. Ersteres beinhaltete die massive militärische Aufrüstung Südvietnams, letzteres implizierte den geordneten Abzug aller US-amerikanischen Streitkräfte aus Indochina. Doch was sich als markiger Wahlkampf-Slogan gut in den Zeitungen und im Fernsehen ausmachte, war im direkten Gespräch mit der Regierung in Hanoi schwer zu erreichen. Hanoi forderte den Abzug aller US-Truppen Denn die Bilanz der Unterhandlungen mit den nordvietnamesischen Regierungsvertretern las sich negativ. Seit dem militärischen Engagement der Vereinigten Staaten in Vietnam war jeder diplomatische Versuch, eine Lösung des Konflikts zu finden, im Ansatz gescheitert. Bei jeder Unterhandlung forderte Hanoi den einseitigen Abzug aller US-Truppen aus Vietnam, die Aufkündigung des Bündnisses mit der Republik Südvietnam, ohne seinerseits zu Gegenleistungen bereit zu sein. Daten und Fakten zum Vietnamkrieg Grafik: picture-alliance/ dpa-infografik | dpa-infografik Die USA und Südvietnam wiederum forderten von Hanoi die Anerkennung der staatlichen Souveränität Südvietnams sowie die Einstellung jeglicher Kampfhandlungen seitens des Vietcong, also der massiv von Nordvietnam unterstützten, kommunistisch orientierten „Nationalen Front für die Befreiung Südvietnams“. Südvietnam boykottierte die Verhandlungen Nur einmal war Bewegung in die Unterhandlungen gekommen. Im Mai 1968 hatte der damals amtierende Präsident Lyndon B. Johnson Nordvietnam angeboten, sämtliche Bombenangriffe nördlich des 20. Breitengrades einzustellen, wenn der Vietcong seinerseits seine militärischen Aktivitäten in Südvietnam einstellte. Hanoi hatte daraufhin Verhandlungsbereitschaft signalisiert und Unterhändler nach Paris geschickt. Die Unterhandlungen waren nur gescheitert, weil Südvietnams Präsident Nguyen Van Thieu sie auf Nixons Geheiß hin boykottiert hatte. Trotzdem war der Dialog zwischen Washington und Hanoi seitdem nie abgerissen. Henry Kissinger brachte die Wende Seit Januar 1969 führten die beiden verfeindeten Mächte in Paris unzählige Gespräche, die zu keinen brauchbaren Resultaten führten. Die Lage änderte sich erst, als Nixon im August 1969 seinen nationalen Sicherheitsberater Henry Kissinger nach Paris schickte. Unter Ausschluß des Thieu-Regimes sondierte er in unzähligen Geheimgesprächen mit dem nordvietnamesischen Unterhändler Le Duc Tho jede mögliche Verhandlungsbasis für ein künftiges Friedensabkommen. Gleichzeitig begannen die Vereinigten Staaten mit dem schrittweisen Rückzug ihrer Truppen aus Vietnam. Die Osteroffensive überraschte den Süden und die Amerikaner Doch es gab ein Paradoxon in der Vietnampolitik Nixons: die „Madman-Strategie“, die im krassen Gegensatz zu Kissingers Mission in Paris stand. Obwohl im Zeitraum von 1969 bis 1972 die Stärke der US Army von fast 500.000 Mann auf 95.000 Soldaten sank, weitete die Nixon-Regierung gleichzeitig den Krieg auf Laos und Kambodscha aus, um die dort vorhandenen Basen und Nachschubwege des Vietcong (Ho-Chi-Minh-Pfad) zu zerstören. Diese Taktik von Verhandlungsbereitschaft und demonstrativer militärischer Aggression verfehlte ihr Ziel, die Nordvietnamesen einzuschüchtern. Sie machte Hanoi nur mißtrauisch und bestärkte es darin, die Entscheidung auf dem Schlachtfeld zu suchen. Am 1. April 1972 eröffnete die Nationale Volksarmee Nordvietnams unter General Vo Nguyen Giap die Osteroffensive. Der Militärschlag traf die US-Amerikaner und die südvietnamesische Armee völlig überraschend. Mit 120.000 Mann und 600 Panzern überrollten die Volksarmisten in drei Angriffskeilen die Stellungen der südvietnamesischen Armee. In nur wenigen Wochen eroberten sie gemeinsam mit dem Vietcong fünf Provinzen und weite Teile des Mekong-Deltas. Nixon bombte sich zum Frieden Doch das militärische Desaster der südvietnamesischen Armee entpuppte sich für Nixon als Ausweg aus der politischen Misere. Mit der Osteroffensive bot sich dem US-Präsidenten die Gelegenheit, Hanoi buchstäblich an den Verhandlungstisch zu bomben und der ganzen Welt die militärische Stärke der USA zeigen. Nachdem er sich die Unterstützung von Senat und Repräsentantenhaus gesichert hatte, gab Präsident Nixon den Befehl zu „Linebacker I“, einer Luftoffensive gigantischen Ausmaßes. In unzähligen Angriffswellen pulverisierten die Langstreckenbomber der US Air Force und US Navy von April bis September 1972 die Panzer- und LKW-Kolonnen der nordvietnamesischen Armee. Das strategische Bombardement zeigte bald die erwünschte Wirkung. Aufgrund der schweren Verluste willigte Hanoi ein, die Pariser Gespräche wieder aufzunehmen. Ende Oktober 1972 konnte Kissinger der Weltöffentlichkeit endlich einen Vertragsentwurf präsentieren, der den Frieden in Vietnam verhieß. Der US-Wahlkampf trieb zur Eile Aber Kissinger und Le Duc Tho hatten die Rechnung ohne Thieu gemacht. Der südvietnamesische Präsident verweigerte strikt die Unterzeichnung des Vertrags, weil er ohne ihn ausgehandelt worden war, worauf Hanoi die Verhandlungen abbrach. Dies konnte Nixon nicht zulassen. Der Präsident stand mitten im Wahlkampf und war geradezu besessen davon, sein Wahlversprechen von einem ehrenvollen Frieden einzulösen. Resolut ordnete Nixon erneut die Bombardierung Nordvietnams an. Diese schwersten Bombardements der US Air Force seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs über die Weihnachstage 1972 („Operation Linebacker II“) erzwangen schließlich den Frieden. Verhandlungserfolge für die vietnamesischen Kommunisten Am 27. Januar 1973 unterzeichneten Henry Kissinger und Le Duc Tho in Paris das Friedensabkommen, das Nixon den Abzug seiner Truppen ermöglichte. Der Vertrag verpflichtete die USA dazu, ihre Truppen binnen sechzig Tagen aus Vietnam abzuziehen. Dies war ein schwerer Schlag für Südvietnam, das immer den Verbleib der US-Truppen im Land gefordert hatte. Weiterhin untersagte die Vereinbarung allen Fremdmächten jegliche militärische Intervention in Indochina. Im Gegenzug versicherte Hanoi die Rückgabe aller US-amerikanischen Gefangenen. Ansonsten hatte sich Le Duc Tho in allen Punkten durchgesetzt: Weder Hanoi noch die Regierungsvertretung des Vietcong hatten sich dazu verpflichtet, ihre 140.000 Mann starken Truppen aus den während der Osteroffensive eroberten Gebieten zurückzuziehen. Desgleichen wurde Südvietnam als souveräner Staat nicht anerkannt und die bis dahin völkerrechtlich anerkannte Grenze zwischen beiden Staaten in eine vorläufige Demarkationslinie umgewandelt. Der Frieden von Paris war das Papier nicht wert Der Vertrag wurde sofort umgesetzt. Innerhalb der nächsten sechzig Tage entließ die nordvietnamesische Regierung 591 Kriegsgefangene. Am 15. Juni 1973 verkündete Nixon feierlich die Einstellung sämtlicher Lufteinsätze nördlich des 20. Breitengrades, was faktisch für die USA das Ende des Vietnamkriegsbedeutete.

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